Bei der Uraufführung von „Tristan und Isolde“ 1865 im Königlichen Hof- und Nationaltheater wurde „der Tiger“ zum ersten Mal aus dem Käfig gelassen. Der Tristan-Akkord wühlte mit seiner grenzenlosen musikalischen Sinnlichkeit das Münchner Opernpublikum so stark auf, dass Männer ihren Frauen den Besuch der Opernaufführungen verboten.
Mit diesem Paukenschlag eröffnete Georg Reichlmayr seinen fulminanten Vortrag. Im Veranstaltungssaal der Volksbank Raiffeisenbank in der Dachauer Altstadt stellte der bekannte Kulturführer und Historiker sein neues Buch „Auf den Schwingen des Genius“ vor. Er hat es Richard Wagner und König Ludwig II. gewidmet, die in München ein bemerkenswertes Kapitel bayerischer und deutscher Kulturgeschichte schrieben. Musikalisch begleitet wurde die Autorenlesung vom Dachauer Musiker und Komponisten Florian Malecki. Die VR Bank hatte dafür extra einen Flügel aufstellen lassen. Bankvorstand Karl-Heinz Hempel betonte, wie erfreulich es sei, dass es jetzt mit der Kultur wieder aufwärts gehe und die Künstler und Musiker wieder Auftrittsmöglichkeiten hätten. Dank der wunderbaren Übereinstimmung von Autor und Musiker entspann sich „ein wahres Feuerwerk“, wie ein Besucher treffend beschrieb, ein kongeniales Gesamtkunstwerk, ganz im Sinne Richard Wagners. Georg Reichlmayr ist in Dachau geboren und lebt auch hier. Als Kunst- und Kulturführer ist er in München und ganz Bayern sehr gefragt. Er machte einen spannenden Parforceritt durch das Leben Richard Wagners, das eng verknüpft war mit dem deutlich jüngeren Ludwig II., dem späteren bayerischen Märchenkönig. Der 18-jährige Monarch verehrte den begabten, über 50-jährigen Komponisten über alles. In der dramatischen Erzählkunst historischer Stoffe, die Wagner in sehnsuchtsvoller Musik auf die Bühne brachte, in der opulenten Ausstattung und den „parfümgetränkten“ großen Gefühlen fand er sich seelenverwandt. Er finanzierte Wagners gigantische Bühnenprojekte und rettete ihn aus einem Berg von Schulden. Dank der königlichen Förderung wurde eine neue Ära in der Musik eingeleitet. München wurde ein Zentrum der Musikkultur. Mit dem Architekten Gottfried Semper, den Ludwig II. nach München kommen ließ, sollte diese neue Ära auch in einer angemessenen Architektur zum Ausdruck kommen. Doch die geplante Oper auf dem rechten Isarhochufer wurde erst später in abgespeckter Form in Dresden verwirklicht. Wortgewandt schilderte Georg Reichlmayr alle emotionalen, familiären und politischen Verknüpfungen und Verwerfungen. Seinen lebendigen Vortrag illustrierte er mit historischen Fotos. Auch Florian Malecki hatte sich intensiv mit Wagner auseinandergesetzt und Stücke ausgewählt, die für dessen musikalische Entwicklung wichtig waren: Franz Listzs „Isoldens Liebestod“ und „Lohengrins Verweis an Elsa“ sowie Wagners „Huldigungsmarsch“, das verträumte „Siegfried-Idyll“ und die Einleitung zum 3. Aufzug aus der „Walküre“. In brillantem Spiel empfand Malecki musikalisch Wagners Lebensstationen nach. Dazu gehörte auch die Beziehung zu Cosima, die Tochter Franz Liszts und Ehefrau des Wagner-Dirigenten Hans von Bülow. Aus Wagners Beziehung mit ihr stammte die Tochter Isolde. Mit ihrer Geburt erreichte das Drama um Liebe, Macht und Geld seinen Höhepunkt. Dass es sich auch noch nach Wagners Tod auf dem grünen Hügel in Bayreuth fortsetzte, ist ein anderes spannendes Thema.
Georg Reichlmayr, Auf den Schwingen des Genius. 14,99 Euro. ISBN 783949 510007.